
Definition des Wortes „tumb“ laut wiktionary.org: „abwertend, veraltet: töricht, einfältig, schlichten Geistes seiend“
Wer nun dieses Wortspiel im Header dumm, unoriginell, einfallslos oder eben tumb findet, dem sei von der Sichtung des neusten „Tomb Raider“-Reboots dringend abgeraten. Denn im Vergleich zum Drehbuch dieses Films ist das Wortspiel eine intellektuelle Meisterleistung.
Statt Angelina Jolie schlüpft nun die ebenfalls zu Oscar-Ehren gelangte Alicia Vikander in die Rolle der Computerspiel-Action-Ikone Lara Croft, und Frau Vikander ist auch so ziemlich die einzige an dieser Produktion beteiligte Person, der (fast) kein Vorwurf für das Misslingen dieses grässlich dummen Machwerks zu machen ist – außer halt überhaupt dafür unterschrieben zu haben.
Wir lernen die „neue“ Lara Croft als junge Frau kennen, die ihren Körper im Mixed Martial Arts Boxing stählt (ohne jedoch, wer hätte es gedacht, den ersten Sparring-Kampf zu gewinnen – wir brauchen ja noch Platz für Charakterentwicklung bis zum Kampf gegen den Endboss), extrem intelligent und belesen ist, ohne jemals eine Universität besucht zu haben, notorisch pleite ist und sich mit einem Job als Fahrrad-Snack-Kurier über Wasser hält. Zudem liebt sie das Risiko und den Adrenalin-Rausch, so lässt sie sich in der in Sachen Inszenierung und Choreographie einzig ansatzweise guten Action-Szene des Films von einer Horde Männern auf Fahrrädern durch Londons Innenstadt jagen. Mit ein wenig Vorsprung und einem angestochenen Farbeimer am Sattel als Hinweis für die Verfolger bringt sie in dieser ansonsten recht sinnlosen Szene das eigene Leben und das unbeteiligter Dritter in Gefahr, um nicht den an ihrem Bike angebrachten Fuchsschwanz geklaut zu bekommen. Wenn man diese Szene symbolisch mal ein bisschen weiter denkt, Silvester 2015 in Köln kam das mit den Frauen-jagenden Männerhorden ja nicht so gut an… jedenfalls endet die Verfolgungsjagd mit einem Crash Laras mit einem Polizeiwagen, und noch während sie in ihrem Frust über dieses Unglück zum fluchenden „Fuck“ ansetzt, Zensiert sich der Film zugunsten des PG 13-Ratings mit einem hard cut selbst. Herzlich willkommen im Grundkurs Filmschnitt 1.01.
Zu ihren männlichen Verehrern ist sie kumpelhaft-flirty-charmant aber abweisend, denn in ihrem Herzen ist nur Platz für einen Mann: ihren Daddy. Dieser ist nun seit bereits sieben Jahren verschollen und soll nun endlich offiziell für tot erklärt werden, damit Lara sein Unternehmen und zahlreichen Besitztümer erben kann. Lara hatte zu ihrem von Dominic West dargestellten Vater Richard immer ein sehr enges Verhältnis, das lernen wir in zahlreichen Rückblenden zu Laras Kindheit, die ganz originell und schick mit bleichen Sepia-Farben eingetönt wurden. Klasse! Jedenfalls stimmt Lara widerwillig ein und erbt neben der Craft Holding wie erwähnt auch einige mysteriöse Rätsel und Puzzle, die sie schlussendlich auf den Pfad der Abenteurerin und Forscherin setzen werden. Nach einer längeren Odyssee durch Asien heuert sie einen betrunkenen, jungen Bootsmann an, der sie auf die verborgene Insel Yamatai bringen soll, wo die zwielichtige und undurchsichtige Organisation Trinity bereits seit Jahren versucht, das Grab der mythischen Königin Himiko zu plündern, was eine Bedrohung für die gesamte Menschheit darstellen soll. Das muss Lara natürlich verhindern…
Dies soll zum Plot genügen, der auf arg eingedampfte und simplifizierte Art und Weise auf dem Reboot der Videospielreihe aus dem Jahr 2013 beruht. Kommen wir nun zu den Kritikpunkten, denn diese sind zahlreich.
Zunächst einmal der Look des Films. Von den furchtbar einfallslosen Sepia-Rückblenden einmal ganz zu schweigen, auch die Dschungel-Insel ist einfach unfassbar hässlich anzusehen und die digitalen Effekte eine absolute Katastrophe. Dieser Film sieht mehr nach einem fucking Computerspiel aus als das fucking Computerspiel. Vor allem das aus dem 2013er-Game bekannte set piece mit einem abgestürzten Flugzeug und eine Stachelbalken-Falle im Tempel reißen mit ihrer dilettantisch schlechten Inszenierung komplett aus dem Film raus. In einem Interview sagte Regisseur Roar Uthaug, dass möglichst viel „echt“ gedreht wurde, um die Immersion des Zuschauers zu gewährleisten. Da frage ich mich wirklich, welche krassen, bewusstseinsverändernden Drogen am Set von „Tomb Raider“ kursiert sein mögen…
Die Rätsel, Fallen, Puzzles und Lösungswege in diesem Film sind entweder unbeschreiblich simpel und dämlich oder unbeschreiblich beliebig, zufällig und sinnlos. Entweder führen Ziehie/Drücki/Drehi/Schiebi/Haui-Aktionen zum gewünschten Erfolg oder die Lösung von Rätseln, die in ihrer geistigen Armut teilweise an diese Intelligenztests für Kleinkinder erinnern, wo Holzförmchen in die entsprechenden Form-Aussparungen eines Kastens richtig eingefügt werden müssen. Den Autoren dieses Drehbuchs würde ich es allesamt zutrauen, als Kind versucht zu haben, die Kreisform mit aller Gewalt in die Stern-Aussparung reinzuprügeln, natürlich ohne Erfolg.
Die Geheimorganisation Trinity ist ähnlich durchdacht wie die Baupläne für BER. Komplett ohne wirkliche Motivation, ohne wirkliches Ziel gammeln diese seit sieben Jahren auf einer verborgenen Insel herum, sprengen wahl- und ziellos alles in die Luft, was bei Drei nicht auf den Bäumen ist, um einen versteckten Tempel mit einer mysteriösen, womöglich übernatürlichen und tödlichen Kraft zu finden. Matthias Vogel, gespielt von Walton Goggins, den man vor allem aus „The Hateful Eight“ kennt, ist Anführer dieser schieß- und sprengwütigen Idiotentruppe, die eigentlich selber gerne von der Insel wegwill, zurück zu ihren Freunden und Familien, aber dann halt eben doch irgendwie dort bleibt, um das Grab der Himiko zu finden, wobei Vogel mal erwähnt, dass er selbst ja gar nicht so wirklich an diesen übernatürlichen Mumpitz glaubt. What the fuck? Dass in sieben Jahren im Umkreis der Insel niemandem etwas von diesen explosiven Machenschaften und den durch Sklavenarbeit unterstützten Ausgrabungsaktionen gewahr wird, ist natürlich gleichermaßen plausibel und glaubwürdig.
Lara Croft darf auf der Insel dann ihre Plot-Schuldigkeit erfüllen und ihre forcierte Entwicklung durchstehen. Sie tötet zum ersten Mal einen Menschen, was ihr kurzzeitig eine innere, moralische Zerrissenheit und Schmerzen beschert, wandelt sich dann aber recht fix zum weiblichen Rambo-Zitat, einer Pfeil-und-Bogen-Tötungsmaschine sondergleichen. Sie findet ihren verschollenen und natürlich gar nicht toten Daddy Richard Croft wieder und kann ihre daddy issues erfolgreich überkommen, spätestens dann, wenn dieser sich überflüssigerweise heroisch opfert und Lara sich damit dieses Mal konkret und final verabschieden kann. Sie ermöglicht mit ihren geheimen Dokumenten und Informationen, die sie eigentlich im Auftrage ihres Vaters hätte vernichten sollen, Vogel und Trinity das Auffinden des Tempels und des Grabs, kann aber im Endkampf mit dem zum aggressiven Zombie-Monster mutierten Vogel (denn das passiert nämlich, wenn man die Leiche von Himiko oder einen Infizierten berührt) die Oberhand behalten, den einstürzenden Tempel in letzter Sekunde verlassen und damit zum ersten (und hoffentlich letzten) Mal die Welt retten.
2007/2008 hat es in Hollywood einen Autorenstreik gegeben, der hauptsächlich Serien betroffen hat. Anfang Mai 2017 wurde ein neuerlicher Streik scheinbar in letzter Sekunde abgewendet. Mein Gefühl jedoch ist, dass in den großen, Blockbuster produzierenden Filmstudios der Autorenstreik niemals aufgehört hat. Meinen ganz persönlichen Tiefpunkt in dieser dümmlichen Tortur eines Films erlebte ich, als die Truppe rund um Lara und Vogel die ersten Schritte in den Tempel gemacht hatten. Da sagte doch eine der Figuren (ich weiß beim besten Wille nicht mehr welche genau) tatsächlich, dass dieser Tempel errichtet wurde, um etwas gefangen zu halten, nicht um andere am Eindringen zu hindern. Ein Zitat, das in dieser Form fast eins zu eins aus dem nur wenig besseren „Die Mumie“-Remake des Vorjahres geklaut wurde. Ein Zitat, das ein innerliches Armageddon auslöste. Scheiße kopiert Scheiße, beschissen. Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, künstliche Intelligenzen das Verfassen von Drehbüchern übernehmen zu lassen, wenn sowieso nur noch irgendwelche Affen sich gegenseitig kopieren. Lieber künstliche Intelligenz als echte Dummheit sozusagen.
Wer sich übrigens schon fragte, was eigentlich Nick Frost nach Ende von Edgar Wrights „Cornetto-Trilogie“ so treibt, der erhält hier die traurige Antwort. Er ist Besitzer eines Pfandhauses Schrägstrich Waffenladens in London, führt mit Lara Croft erst einen Dialog aus der Autorenhölle, offeriert ihr für ein Amulett, das aussieht wie aus einer Kellogg’s-Packung, 8.000 Pfund als Startkapital für ihre Abenteuerreise nach Fernost, obwohl sie für dieses keinerlei Zertifikate oder ähnliches hat – dann wäre sie ja zu jemand Seriösen gegangen, duh… – und soll in einer zweiten kurzen Szene zum Schluss wohl zum Waffen- und Gadgetlieferanten für das geplante Sequel aufgebaut werden. Für Nick Frost, Alicia Vikander und mein Seelenheil hoffe ich, dass dieses niemals zustande kommt.
In Ray Bradburys Dystopie „Fahrenheit 451“ wird der Besitz von Büchern illegal und diese daher von zuständigen Einheiten gezielt verbrannt. Wir leben schon längst in einer nicht weniger schlimmen Realität. In einer Gegenwart, in der derart geistig verkümmerte Drehbücher wie das von „Tomb Raider“ eben nicht verbrannt werden. Ohne solchen Müll wäre die Welt ein besserer Ort.
1/10