dissZens #1: Jumanji (2017)

Jumanji

 

In der letzten Sneak Preview des Jahres 2017 lief der Film „Jumanji“ im Kino. In der äußerst gut besuchten Vorstellung erhielt  der Film, der seit gestern regulär in den bundesdeutschen Kinos zu sehen ist, von den weit über hundert Zuschauern eine herausragend gute Durchschnittsnote von 1,65. Alles gut also?

Nein.

Die Geschichte ist schnell zusammengefasst. Im 1996 verorteten Prolog dieses Films, welcher sowohl als Remake als auch als Sequel zum ersten „Jumanji“-Teil mit dem inzwischen verstorbenen Robin Williams konzipiert ist, verwandelt sich das altbekannte „Jumanji“-Brettspiel in eine Nintendo-artige Spielkonsole, um der eigenen Verwendungs- und Bedeutungslosigkeit zu entfliehen. Mit dieser neu gewonnenen Attraktivität der Digitalität gelingt es dem magisch verwunschenem Spiel sodann auch, den Jugendlichen Alex Vreeke (ja, wirklich, Vreeke…) in seine Videospiel-Welt mit Dschungel-Setting zu saugen.

Es folgt ein Sprung in die Jetzt-Zeit, gut 20 Jahre später, wo wir unsere vier mit dem aus Paint bekannten Füllwerkzeug gezeichneten Stereotyp-Protagonisten kennen lernen. Ein dürrer Nerd, ein großgewachsener Sportler, eine biedere Streberin und ein selbstbezogenes Instagram-Hottie werden alle aus mehr oder weniger glaubwürdigen und nachvollziehbaren Gründen zum Nachsitzen verdonnert. Dabei stößt die vom Schicksal (oder eher von den Drehbuchautoren) zusammengeschmiedete Clique überraschenderweise auf die verstaubte „Jumanji“-Retro-Konsole. Warum „Jumanji“ nicht erneut die Zeichen der Zeit erkannt und sich in eine Spiele-App à la „Candy Crush“ verwandelt hat, erschließt sich hier nicht, dennoch erhascht er auch dieses Mal die Aufmerksamkeit der Teenager, welche folglich ebenfalls dematerialisiert und im Spiel gefangen werden. Um zu entkommen und wieder in die Realität zu gelangen, müssen sie das „Jumanji“-Spiel durchspielen, was bedeutet, dass ein grün funkelnder MacGuffin… – ich meine ein grün funkelnder Edelstein irgendwo im Dschungel in seine Jaguaraugenfassung eingesetzt und das Wort „Jumanji“ gesagt werden muss. Auf der Reise dorthin müssen unsere Gamer Rätsel in Reimform lösen und andere Herausforderungen für digitalen Geist und Körper bestehen, zudem steht ihnen der das Tierreich kontrollierende Bösewicht Russel Van Pelt (Bobby Cannavale) und dessen Schergen sowie, natürlich, auch sie selbst im Weg.

Kaum ins Dickicht des über weite Strecken computeranimiert wirkenden Tropenwalds geschleudert, offenbart sich dem Zuschauer auch bereits die erste von zwei zerbrechlichen Glasstelzen, auf welchen der „Humor“ des Films fußt, und zwar eine größtmögliche Diskrepanz zwischen Real Life-Charakter und Videospiel-Avatar. Der Nerd wird zum unbesiegbaren Muskelprotz Dwayne „The Rock“ Johnson, der Sportler zur halben Witzfigur-Portion Kevin Hart, die Streberin zur heißen Power-Frau Karen Gillan und das Instagram-Hottie wird zum alten, fetten, hässlichen Jack Black. So kreativ! Beim Erkunden ihrer Avatar-Körper stellen die vier nun doppelt stereotypen Stereo-Typen drei balkenförmige Tattoos am Handgelenk fest. Während jedem halbwegs mitdenken Zuseher bereits klar ist, dass diese offensichtlich drei verfügbare Videospiel-Leben einer jeden Figur repräsentieren, muss im Film erst jemand von einem digitalen Nilpferd gerissen und verschlungen werden; eine Szene, die in ihrer trashig inszenierten und animierten Art an das Ableben Samuel L. Jacksons in „Deep Blue Sea“ erinnert, ohne jedoch durch eine ironische Brechung aus dieser Referenz humoristischen Gewinn zu schlagen. Der kürzlich Verstorbene respawnt sodann mit einem krachenden Sturz aus dem Himmel und, big reveal, einem Balken weniger am Arm. Eines der vielen großen Probleme des Films: Man ist dem dämlichen und unfassbar simpel gestrickten Drehbuch stets mehrere Schritte voraus.

Apropos respawn, die sich durch die Prämisse ergebenden Möglichkeiten einer Meta-Comedy zu Videospielen und Videospielverfilmungen werden ebenfalls nicht ansatzweise ausgeschöpft. Zwar werden wichtige Bausteine wie NPCs (non-playable characters) und Zwischensequenzen durch die Figuren benannt und erklärt, aber damit hat sich das dann auch schon erledigt. Einer dieser NPCs ist der unter anderem aus „Hunt for the Wilderpeople“ bekannte Rhys Darby als Nigel, hier schmerzhaft verschenkt als Jeep-fahrender Lieferheld von Plot-Exposition und MacGuffin-Juwel, der, eben ganz NPC, nur vorprogrammierte Phrasen abspulen und wiederholen kann. Etwas später trifft die Nachsitzer-Gang auf einem Basar dann auf einen Pilot, der für einen NPC merkwürdig realistisch und lebhaft erscheint. Der junge Mann ist, das begreifen wir wieder ziemlich schnell, der im Prolog ins Spiel gezogene Freak-Junge. Vreeke-Junge. Das dumm-dödelige Drehbuch verkauft uns das natürlich erst deutlich später wieder als einen mind-blowing Twist. Wow.

Apropos Dödel, damit wären wir dann bei der fragilen Humor-Glasstelze Nummer zwei. Ab einem gewissen Punkt ist der Film nur noch ein einziger riesengroßer Penis-Witz (höhö, riesengroßer Penis). Kevin Hart freut sich beim Blick in die Buxe, dass zumindest ein Merkmal seines athletischen Real Life-Körpers bei der Digitalisierung nicht geschrumpft wurde, Instagram-Hottie Jack Black lernt mit diesem ihr neuen und unbekannten Werkzeug umzugehen, und selbst als Kevin Hart vom unsympathischen Kacklappen The Rock einer Herde Nashörner als Ablenkungsköder geopfert wird, wird die Aufarbeitung dieser eigentlich Konfliktpotenzial liefernden Arschloch-Aktion (der Amerikaner würde es glaube ich als „dick move“ bezeichnen…) mit tierisch flachen Penis-Witzen aufgelöst. Beste Unterhaltung für die ganze Familie also. Wenigstens wird meine Verwendung des Wortes „Dickicht“ früher in dieser ReZension im Nachhinein betrachtet jetzt noch lustiger. Hach, Penisse…

Apropos unsympathischer Kacklappen The Rock, der Ex-Wrestler und zukünftige US-Präsident ist zweifelsfrei der zentrale Protagonist des Films. Im echten Leben ist der Nerd selbstverständlich ein absolutes Hypochonder-Weichei, im Jumanji-Dschungel dafür eine muskelbepackte Kampfmaschine ohne jegliche Schwächen. So prügelt er sich auf dem Basar munter und problemlos durch eine Horde von Handlangern van Pelts, nur um dann wenig später das Ablenken von zwei (!!) Wachposten eines scheinbar dringend benötigten Helikopters der Streberin Karen Gillan zu überlassen. Logik sucht man hier vergebens, eine spannende Fallhöhe oder eine Relevanz für alle Charaktere neben The Rock ergeben sich durch diese Art der Charakterentwicklung und Figurenkonstellation aber nicht. Wenigstens liefert die Vorbereitung dieses Ablenkungsmanövers eine der wenigen gelungenen Szenen des Films, wenn Instagram-Hottie Jack Black der Streberin das erfolgreiche Flirten mit Männern beibringen muss. Als Belohnung für erfolgreich getane Arbeit bekommt die Streberin im Verlauf des Films die obligatorische, uninteressante und generische Romanze mit dem Nerd spendiert. Für diese Romanze Instagram-Hottie Jack Black statt der Streberin heranzuziehen, wäre die deutlich mutigere und lustigere Entscheidung gewesen, aber mutig und lustig will dieser Film ja auch gar nicht sein, also was beschwere ich mich eigentlich?

Weitere Kritikpunkte gefällig? Gerne. Der Antagonist ist derart schwach und lieblos gestaltet, dass er genauso gut aus einem beliebigen Marvel-Film stammen könnte, seine untergebene, Moto Cross-Rad berittene Privatarmee ist peinlich schlecht aus „Mad Max: Fury Road“ geklaut, das bereits mehrfach geschmähte Drehbuch und die einfallslose Regie reihen langweilige und schwach choreographierte Action set pieces aneinander, die zwischendurch „humoristische“ oder mit einer stumpfen und plakativen Botschaft versehene, ernste „Wir lernen etwas über uns“-Szenen untergemischt bekommen, und auch filmhandwerklich-technisch passen sich Kamera, Schnitt und dauerdudelnder Score diesem mühe- und lieblos ausproduzierten, nervtötendem und mit 120 Minuten überlangen Hollywood-Schrott an. Wie wir am Ende des Films erfahren, hat unser Protagonist Dwayne „The Nerd“ Johnson übrigens trotz allem rein gar nichts gelernt. Schade.

Gibt es überhaupt etwas Positives zu sagen? Nun, zumindest die Performances von Karen Gillan und Jack Black überzeugen, letzterer erinnert uns zudem daran, dass es mit „Tropic Thunder“ einen deutlich lustigeren, unterhaltsameren und intelligenteren Meta-Comedy-Film mit Dschungel-Setting gibt, und zuletzt hat der Film immerhin den grandiosen „Guns N‘ Roses“-Song „Welcome to the Jungle“ liZensiert, wenn auch nur für die Trailer und den Abspann. „Welcome to the jungle, we got fun and games.“ Nein, dieses Spiel macht überhaupt keinen Spaß. Solange solche überflüssigen Remakes jedoch mit derart großer Publikumszustimmung quittiert werden, ist das leider ein Freifahrtschein für Hollywood, uns auch in Zukunft mit solchem Sondermüll zuzuscheißen.

2/10

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